Flexible konzeptphasenorientierte Skalierungsmethodik zur Entscheidungsvorbereitung im Flugzeugvorentwurf

Repetitio est mater studiorum
Cassiodor



Einführung

Der Entwurfsprozeß eines neuen Flugzeugs beginnt mit einer Liste von Anforderungen, die von einem oder mehreren Flugzeugkonzepten erfüllt werden sollen. Diese Flugzeugkonzepte – zunächst reine Papierstudien – sind Gegenstand der Erarbeitung, Untersuchung und Bearbeitung in frühen Entwurfsphasen. Nach Durchlaufen der ersten Konzeptphase schließt sich eine Vorentwurfsphase an, der die Detailentwicklung folgt.

Die einzelnen Entwurfsphasen sind charakterisiert durch die sich ständig ändernden Parameter

Wissen stellt Information über das sich entwickelnde Projekt dar. In frühen Entwurfsphasen ist es nur unvollständig und nicht präzise, so daß häufig Annahmen getroffen werden müssen. Diese Annahmen wiederum können, falls irrig, zu Fehlentscheidungen führen und Budget- bzw. Zeitplanüberschreitungen nach sich ziehen, ja sogar das ganze Projekt gefährden. Entwurfsfreiheit ist ein Flexibilitätsmaß, das jenen Grad beschreibt, bis zu dem Änderungen im Entwurf noch realistisch sind. Der Begriff Änderungsaufwand schließlich bezieht sich auf die Ressourcenallokationen, die mit den Entscheidungsprozessen festgelegt werden (vgl. Bild 1).
 


Bild 1: Verbesserungspotential in der Konzeptentwurfsphase


Schlüsselentscheidungen, die an frühen Meilensteinen im Entwurfsprozeß fallen müssen, legen eine vergleichsweise große Anzahl von Flugzeugparametern und zugleich einen Großteil der Gesamtkosten fest. Unglücklicherweise basieren diese Entscheidungen oft auf geringem Wissen und lückenhafter bzw. fehlerhafter Informationsgrundlage. Durch unglückliche Entscheidungen notwendig werdende Überarbeitungen in späteren Entwurfsphasen sind signifikant teurer und komplizierter als Änderungen möglichst früh im Entwurfsprozeß. Somit lässt sich ein gewisser Bedarf ausmachen, Wissen entlang der Zeitachse "nach vorn" zu verlagern, um besser fundierte Entscheidungen treffen zu können. Diese besser fundierten Entscheidungen betreffen dann wiederum ein flexibleres und weniger änderungsaufwendiges Flugzeug (siehe Pfeile in Bild 1).

Um diese Wissensverlagerung zu bewerkstelligen und eine fundiertere Bewertung der einzelnen Flugzeugkonzepte sowie ihrer entwurfsbeeinflussenden Parameter zu ermöglichen, benötigt man ein Werkzeug zur Unterstützung der Informationsgewinnung und -verbesserung in frühen Entwurfsphasen. Ein möglicher Ansatz hierzu ist ein iterativer Skalierungsprozeß, der im folgenden detaillierter beschrieben wird. Dabei werden, ausgehend von einem Referenzflugzeug (das die eingangs genannten Anforderungen noch gar nicht erfüllen muß), verschiedene Flugzeugparameter schrittweise gezielt verändert – skaliert –, wodurch ein jeweils skaliertes Flugzeug mit neuen Charakteristika entsteht, die wiederum untersucht und bewertet werden. Aus jeder Bewertung ergeben sich jeweils Änderungsvorgaben für den nächsten Skalierungsschritt. Die Iteration steuert somit auf eine Flugzeuglösung zu, in der die eingangs aufgestellten Anforderungen hinsichtlich einer gewissen Zielfunktion – beispielsweise minimale Abflugmasse – optimal erfüllt werden. Abflugmasse wird meist als grober Güteindex verwendet, weil verschiedene Kosten- und Entwicklungszeitabschätzverfahren auf Grundlage dieses Parameters vorliegen. Andere Parameter, beispielsweise Nullwiderstand, können ebenso betrachtet werden. Parallel zu diesen Rechnungen werden im Rechenlaufprotokoll verschiedene Entwurfssensitivitäten deutlich – beispielsweise, wie empfindlich die Gesamtabflugmasse auf die Art der Lackierung (glatter Lack oder rauhe Tarnfarbe, ...) reagiert. Diese tragen ebenfalls zur gewünschten Informationsmenge bei.

Im folgenden sollen dieser Skalierungsansatz und die typischerweise zu erwartenden Ergebnisse näher beschrieben werden.
 

 
Automatischer Skalierungsalgorithmus

Zu Beginn des automatischen Skalierungsprozesses können verschiedene Skalierungsregeln definiert werden, beispielsweise Minimal/Maximalenvelopen für verschiedene Parameter, konstant zu haltende Kennwerte wie Flächenbelastung bzw. Schubbelastung, außerdem Missionsprofile und zusätzlich Skalierungsrandbedingungen als Vorgaben für das Optimierungsmodul. Das Skalieren fängt mit einem gewissen Referenzflugzeug an, dargestellt durch einen in sich konsistenten Datensatz. Dieses Referenzflugzeug braucht nicht notwendigerweise die oben genannten Anforderungen erfüllen, und hat auch nicht zwingend eine (nach welchen Kriterien auch immer) Optimallösung darzustellen. Die Modellbildung für das Flugzeug ist leicht austauschbar in die Methodik eingebunden und beschränkt daher die Einsatzbereiche der im folgenden beschriebene Skalierungsmethodik grundsätzlich nicht (Frachtflugzeug in konventioneller Konfiguration, unbemannte Aufklärungsdrohne, ...).

 

Bild 2: Skalierungsalgorithmus (vereinfacht)


Im Verlauf des iterativen Skalierungsprozeß wird der aktuelle Flugzeugdatensatz in verschiedenen Modulen auf Über- bzw. Nichterfüllen der einzelnen Anforderungen hin abgeprüft (Bild 2). Zunächst wird untersucht, ob die abverlangten Punktleistungen erflogen werden können. Liegen die Leistungen des aktuellen Flugzeugdatensatzes (unter Berücksichtigung einer gewissen prozentualen Toleranz) zu weit vom geforderten Wert entfernt, werden die hierfür relevanten Flugzeugparameter entsprechend für eine spätere Abänderung markiert.

Im nächsten Modul werden komplette Missionen abgeprüft. Die vorgelegte Methodik erlaubt die flexible Definition von komplexen Missionsprofilen mit einem Baukastensystem, wobei die einzelnen Segmente ohne Einschränkung aneinandergehängt werden können (Bild 3). Der Flugzeugdatensatz "fliegt" dieses Missionsprofil dann in beliebiger Zeitauflösung ab.



Bild 3: Missionsprofil (Beispiel für eine Aufklärungsmission)


Zusätzlich wird ein Stabilitäts- und Steuerbarkeitsmodul durchlaufen, um geforderte flugmechanische Eigenschaften des Datensatzes sicherzustellen, und abschließend werden in einem eigenen Modul geometrische Restriktionen untersucht, um etwa hochskalierte Propellerblätter nicht in den Boden kämmen zu lassen.

Am Ende dieser Untersuchungen wird eine Skalierungsentscheidung getroffen: Falls der aktuelle Flugzeugdatensatz alle Anforderungen erfüllt, terminiert der Algorithmus mit einer "maßgeschneiderten" Lösung für diese spezielle Anforderungsliste. Sind hingegen noch Parameter zum Skalieren markiert, und liegen diese außerdem noch innerhalb ihrer zulässigen Werteenvelopen, wird eine Reskalierung initiiert.

In diesem Fall wird der aktuelle Flugzeugdatensatz beispielsweise hinsichtlich Triebwerkparameter, Flügel, Leitwerk und Rumpf skaliert. Momentan werden dabei etwa 25 Variablen direkt manipuliert, wie z.B. die Flügelfläche. Die Skalierungsregeln beinhalten eine eingangs definierbare Liste mit Parametern, die für solche Änderungen freigegeben sind, so daß Skalierungsiterationen unter gewissen Einschränkungen (wie lediglich Änderung des Flügels) möglich sind. Entsprechend der direkt geänderten Parameter werden automatisch weitere indirekt betroffene Teile des Flugzeugdatensatzes angepaßt – speziell Charakteristika in der Antriebsgruppe, Aerodynamik und Massen. Eine Änderung der Flügelmasse etwa, aufgrund der skalierten Flügelfläche, wird auf diese Weise berücksichtigt.

Dieser iterative Skalierungsprozeß verändert den Flugzeugdatensatz automatisch hin zum "maßgeschneiderten" Konzept. Um die Rechenlaufzeiten zu verkürzen, verwendet der Algorithmus zudem einen Newton-Beschleuniger. Der fertigskalierte Entwurf wird repräsentiert durch eine Liste von Flugzeugparametern hinsichtlich Geometrie, Massen, Antriebsparametern und aerodynamischen Charakteristika. Zusätzlich stehen die berechneten Punkt- und Missionsleistungsdaten und die Steuerbarkeits- und Stabilitätseigenschaften zur Verfügung.

Ein einfaches Optimierungsmodul schließlich bewertet den skalierten Entwurf hinsichtlich eines wählbaren Gütekriteriums, beispielsweise Gesamtmasse, und entscheidet über einen erneuten Skalierungslauf mit leicht abgeänderten Skalierungsregeln. Auf diese Weise können automatisiert verschiedene technische Lösungsansätze zur Erfüllung der gleichen Anforderung untersucht werden – beispielsweise die Forderung nach einer hohen Steigrate, die mit Hilfe eines großem Flügels, eines schubstarken Triebwerks, eines komplexen Hochauftriebsystems, oder aber einer Kombination aller drei Ansätze erflogen werden könnte. Am Ende dieser Untersuchung wird die (abhängig vom gewählten Gütekriterium) beste Lösung festgehalten.
 

 
Ergebnisse des Skalierungsprozesses

Mit einer Reihe von optimiererkontrollierten Skalierungsläufen entstehen verschiedene skalierte Entwürfe, die jeweils die Anforderungsliste "optimal" erfüllen, jedoch – entsprechend der Skalierungsregeln – in verschiedenen Parametern differieren. Jeder einzelne Entwurf kann in ein gängiges Entwurfsdiagramm eingetragen werden, Schubbelastung über Flächenbelastung (Bild 4). Da jeder Punkt einen kompletten Entwurf mit vielen hinterlegten Daten und Kennwerten darstellt, lassen sich gewisse Trends hinsichtlich wählbarer Gütekriterien ableiten. Die einzelnen Lösungen können individuell bewertet werden. Als zusätzliche Orientierungshilfen sind zudem Grenzen in das Diagramm eingetragen, die durch einzelne Anforderungen entstehen: In den schattierten Bereichen liegen jene Entwürfe, deren Parameterkombinationen gewisse Anforderungen nicht erfüllen können.

 

Bild 4: Auslegungsdiagram mit eingetragenen Entwurfslösungen


Die somit vorliegenden Daten stellen zudem mehr als lediglich eine Zusammenstellung möglicher Entwürfe dar: Massenzuwachsfaktoren, d.h. die partielle Ableitung der Gesamtmasse nach gewissen Flugzeugeigenschaften, stehen nach entsprechenden Skalierungsläufen zur Verfügung. Damit wird die Empfindlichkeit des Entwurfs hinsichtlich einer bestimmten Anforderung deutlich, ausgedrückt in Massenänderung. Andere Flugzeugparameter, etwa Gesamtwiderstand, können ebenfalls untersucht werden. Mit diesen Ergebnissen werden jene Pönalen – in Form von Zusatzmasse oder Zusatzwiderstand – deutlich, die akzeptiert werden müssen, wenn eine gewisse Anforderung realisiert wird. Damit ist eine kritische Betrachtung der Anforderungen möglich, und Entscheidungen zum Abschwächen der einen oder anderen geforderten Leistung im Interesse einer besseren Gesamtleistung werden vorbereitet.

Darüber hinaus wird eine Diskussion besonders favorabler Ansätze (einschließlich der Konzepte mit Minimalmasse bzw. Minimalwiderstand) eröffnet, da die vorgestellte Methodik zur Untersuchung verschiedener technischer Ansätze zur Erfüllung der Anforderungen herangezogen werden kann.

Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die Ergebnisse dieser Skalierungsläufe zur frühen Erweiterung der Wissensbasis über das neue Flugzeug beitragen; die Methodik FASTR kann als wertvolles Werkzeug für Entscheidungsprozesse angesehen werden.

Im Detail kann dieses Verfahren unter ISBN 3-934767-86-9 hier nachgelesen werden.